
EIn Traum wird wahr
Gerhard Roicks Jugendherberge
im idylischen Lopautal
Als im Mai 1946 Oberstleutnant Harper und Major Dick von der englischen Militärverwaltung sich über die Jugendarbeit von Gerhard Roick informierten, wollten sie auch wissen, wo denn im Dorf das Gebäude des Jugendtreffs wäre. Diese Frage konnte er nicht genau beantworten, aber er beschrieb seine Pläne, wie er sich die Jugendarbeit vorstellte:
Es sollte ein „Youth Recovery-House“ (Jugenderholungsheim) sein mit folgenden Einrichtungen :
Recovery-house for the continuance stay of about 20 children“ (eine Umschreibung für „seine“ Jugendherberge)
„Youth-home for wanderers“ (hier hätte auch „youth hostle“ stehen können)
„Headquater for the Youth Group Amelinghausen/Sottorf“
„Kindergarten“ (Quelle: Tagebuch Roickshagen)
Da die Militärverwaltung großen Wert auf eine neu ausgerichtete Jugendarbeit legte, vermied er das englische Wort „youth hostle“ für Jugendherberge. Schließlich musste er an seinen Lebensunterhalt denken. Allein von der Jugendarbeit im Dorf konnte er nicht leben.
Im Lopautal zwischen der B 209 und der Eisenbahnbrücke fand Roick ein herrliches und mehrere Morgen großes Waldgrundstück, das er vom Sottorfer Bürgermeister Hedder pachten konnte. Das Grundstück war groß genug für die Jugendherberge, einen Sportplatz und eine Ackerfläche für den Anbau von Kartoffeln und Gemüse. Er erhielt die Genehmigung, eine Mannschaftsbaracke aus dem RAD-Lager (Reichsarbeitsdienst) in Kolkhagen zu erwerben. Das Wohnungsamt erklärte sich bereit zur Freigabe und das Finanzamt hatte keine Einwände. Nun konnte es mit Volldampf vorangehen.
Er versicherte der Gemeinde, dass durch seine Eigenleistungen keine Kosten entstehen würden. Holz und Lehm gäbe es genug in der Gemarkung. Die Baumstämme, die auf dem Grundstück für sein projektiertes Haus weichen müssten, könne er selbst fällen und in der Sottorfer Sägerei von Karl Heger mit dessen Hilfe zu Balken und Bretter verarbeiten. Lediglich Zement, Kalk, Dachziegel, Hartfaserplatten und Baueisen müsste er kaufen. Alles Gegenstände, die es in der damaligen Mangelwirtschaft nur auf Zuweisung gab. Deshalb war er auf das Wohlwollen der englischen Militärregierung angewiesen. Die Baracke war in wenigen Tage abgebrochen und von der Firma Karl Heger mit einem Lastwagen nach Sottorf gebracht. Als Oberst Harper den großen Bretterhaufen in Sottorf sah, wollte er nicht glauben, dass die Baracke innerhalb weniger Tage stehen würde. Sollte es klappen, würde er eine Flasche Whiskey spendieren. Gerhard Roick bekam den Whiskey - ein seltenes Getränk für die damalige Zeit. Roick hatte bei den Engländern wirklich einen Stein im Brett und bekam die Bezugsscheine für die erforderlichen Baumaterialien. Sogar ein Militärfahrzeug wurde ihm für den Transport bereit gestellt (to travel with a W.D. (War Department) car = Militärfahrzeug)
Mit Hilfe eines Maurers stand die Baracke nach ein paar Tagen auf dem Fundament; es waren aber nur vier Wände mit einem Dach, ohne Innenwände, Fenster und Türen.
Am 1. September 1946 war die Baracke kaum wieder zu erkennen. Im linken Teil ist der Privatbereich zu sehen, dahinter ein Schlafraum mit 14 Betten und im Mittelteil ein großer Aufenthaltsraum mit einer angrenzenden Küche. Die sanitären Anlagen sind – noch primitiv, aber funktional ausgestattet - in einem kleinen Schuppen.
Die erste Gruppe, die verpflegt werden musste, war eine Arbeitsdienstgruppe von 30 Mann aus Lüneburg, die mit Ausschachtungsarbeiten an der geplanten Badeanstalt beschäftigt war. Das ist der heutige Teich hinter dem Seestübchen. Auch die Jugendlichen aus dem Dorf haben kräftig mitgeholfen. Die „Badeanstalt“ war nur ein Jahr in Betrieb. 1949 konnte die Gemeinde die gepflegte ehemalige Privatbadeanstalt von Arthur Joost kaufen (der heutige Jugendzeltplatz), die durch das Lopauwasser eine weitaus bessere Wasserqualität hatte.
Gerhard Roick freute sich über seine Baufortschritte, aber weitaus größer war seine Freude, als im Oktober 1946 seine Frau Marga aus der Kriegsgefangenschaft in Dänemark entlassen wurde und beide nach 15 Monaten Trennung endlich wieder zusammen sein konnten. Einen leisen Zweifel hatte er trotzdem. Würde sie als gebürtige Großstädterin die neue und ungewohnte Arbeit schaffen und mit seinem Arbeitstempo Schritt halten können? Gott sei Dank waren seine Befürchtungen umsonst. Seine Marga hat sich schnell eingelebt und ihre neue Aufgabe als Küchenchefin mit Bravour ausgeführt.
Für Jugendgruppen, die zum größten Teil aus Hamburg kamen, war der Aufenthalt in Sottorf ein Leben wie im Paradies: schöne Natur, keine Kriegsruinen wie in der Stadt und satt zu essen.
1947 hatten sich mehr Gruppen angemeldet als aufgenommen werden konnten, trotz eines im Wald aufgestellten Wehrmachtszeltes.
In den folgenden Jahren wurde im Herbst und Winter immer weiter gebaut, um die Bettenkapazität zu vergrößern.
Es ist eine Freude, das überlieferte Gästebuch zu lesen. Alle Gruppen bedanken sich für die gute Unterkunft und Verpflegung und sind traurig, dass sie die Familie Roick und die schöne Lüneburger Heide wieder verlassen müssen.
1955 begann ein neuer Lebensabschnitt für Gerhard Roick. Er entschied sich für die Bundeswehr, die Offiziere brauchte. Die ehemalige Jugendherberge war danach ein Erholungsheim. Heute befindet sich hier das Seestübchen.